Die Vorsehung Gottes

Die Vorsehung Gottes bedeutet Seine Fähigkeit nach vorne zu schauen. Gott weiß, was zeitlich vor uns liegt und sieht es voraus. Er ordnet das Zukünftige und lässt auch manches in unserem Leben geschehen, was uns nicht gefällt und wir nicht mögen. Dennoch sollten wir uns damit abfinden, denn wir sind nicht die Herren des Lebens.
Nach Ablauf der Zeit verstehen wir dann plötzlich, wofür es gut war. Diese Sachlage erweist sich auch als ein Kreuz für das menschliche Herz. Mit Gottes Hilfe wollen wir aber einige Worte darüber sagen, obwohl es auch eine Last für uns bedeutet.
Nehmen wir zum Beispiel die Geschichte des gerechten Josef (im Alten Bund – Anm.). Wie Sie sich erinnern, hatte er Traumbilder beim Schlafen und erzählte danach in seiner Gutgläubigkeit, wie sich sein Vater und seine Brüder vor ihm verneigten bzw. er ihr Haupt sei. Auch die Sonne würde sich vor ihm verneigen. So berichtete er treugläubigen Sinnes, was Gott ihm in Träumen offenbart hatte.
Darauf beschimpften ihn ja seine Brüder als Träumer und beschlossen voll Neidgefühlen, ihn zu töten. So diente Josef als Prototyp Jesu Christi, da er ja niemand etwas Böses getan hatte und von den eigenen Verwandten aus Neid getötet werden sollte. Gott sei es gedankt wurde er vor dem Tod errettet und in eine Zisterne geworfen. Dann wurde er als Sklave nach Ägypten verkauft. Darauf die komplizierte und schreckliche Situation mit Potiphar und seiner Frau – mit ihrem Versuch, ihn zur Sünde zu verführen, und seiner Kerkerhaft.
So oder so wurde Josef später die wichtigste Person an der Seite des Pharaos, er deutete nicht nur die dessen Träume, sondern zuvor auch die seiner eigenen Mitgefangenen. Er sagte das Zukünftige voraus und Gott war mit ihm.
Als dann später seine Brüder nach Ägypten kamen, erkannten sie ihn nicht. Denn er stand dann ja vor allen in Ehren, war geschminkt und nach ägyptischer Art gekleidet. Als er sich dann aber ihnen offenbarte, dass er Josef, ihr Bruder sei, steht das übrigens auch in Verbindung zur Beziehung Jesu zum jüdischen Volk, die Ihn ja ohne Grund und nur aus Neid getötet haben. Aber Jesus liebt sie bis zum heutigen Tag und sie erkennen nicht, dass Er der Messias ist. Und als Josef in seinem Glanz seinen bettelarmen Brüdern sagte, er sei ihr Bruder, dann stellt das auch das dar, was früher oder später mit dem jüdischen Volk geschehen werde, wenn Jesus Christus ihnen nämlich mit lauter Stimme verkünden werde, dass er ihr Bruder und der Messias sei. Sie werden dann schluchzen und verstehen, dass sie Ihn ungerechterweise getötet haben.
Uns kommt es hier darauf an, dass die Brüder Josefs dachten, er würde sie jetzt hinrichten lassen. Er hätte dazu (nach damaliger Logik – Anm.) jedes Recht – er ist vornehm und sie sind niemand. Er war das unschuldige Opfer, von Gott bewahrt, sie aber Bösewichte und vom Vorsatz her Mörder.
Josef richtete an sie aber die folgenden Worte: Nicht ihr seid schuldig, es hat Gott mich durch eure Hände hierher nach Ägypten gesandt, damit jetzt, wo Hungersnot auf der ganzen Welt herrscht, ihr und unser Vater Nahrung erhielten, damit ihr überleben und wir uns treffen können. Das heißt er schreibt der göttlichen Vorsehung die böse Tat der Brüder zu (indem Gott sie zulässt – Anm.), seinen Verkauf in die Knechtschaft, seine Erniedrigung und seine Erhöhung, den Hunger auf der ganzen Welt, ihr Kommen nach Ägypten um des Brotes willen, ihr wunderbares Treffen.
Er nimmt an, das alles sei ein gewisser Webstoff, welcher aus Fäden gewebt ist, wobei diese einzelnen Fäden in ihrer Bedeutung unverstanden bleiben. Hier ein Faden. Na und? Dort ein Faden. Na und? Ein Faden ist noch kein Teppich, eine Schneeflocke ist noch nicht Schnee, ein Tropfen ist noch kein Regen.
Denn erst wenn die Fäden zusammenkommen, ist es ein Teppich. Dann erscheint noch ein optisches Motiv auf dem Teppich und beim Betrachten von weitem erblickt man darauf sogar ein gewebtes Gemälde. Dann beginnt das Begreifen bestimmter Sachverhalte. Josef erhielt also von Gott den Verstand, dass Er es so eingerichtet habe.
Josef hätte seine Brüder sehr wohl hinrichten können, denn sie hätten es verdient (nach der Logik jener Zeit – Anm.). Allerdings sah er in alledem das gewisse Mehr. Er dachte, Gott habe es so eingerichtet, dass er nicht gestorben sei, sondern überlebt habe und zu Würden gekommen sei. Die Brüder seien zum ihm gekommen, weil auf ihn angewiesen. Er liebe sie und habe ihnen vergeben. Sie alle lebten und würden zusammen sein.
Das alles ist die Vorsehung Gottes, wenn Er alle Seine Weisheit benutzt, damit die bösen Absichten von Dämonen und Menschen in eine Einheit gewebt würden und einem guten und nützlichen Zweck dienten. Das nennen wir Ratschluss, Wissen und Voraus-Sehen Gottes – eine wohlgemeinte Führung von Menschen, Völkern, Stämmen und Einzelnen durch die Geschichte zu einem bestimmten edlen Ziel.
Man muss zweifelsohne lernen, dieses Voraus-Sehen und -Wirken Gottes zu erkennen. So soll nun jeder von uns sich an sein Leben von Kindheit an erinnern. Gehen wir den Jahren nach unser bisheriges Leben bis zum heutigen Tag durch - unsere Schulzeit, der Militärdienst, die erste Liebe, die ersten Konflikte, die erste Sünde, die ersten Tränen.
Ich denke, die meisten Menschen, in denen nämlich das Gewissen nicht abgestorben ist, werden verstehen, dass dieser gesamte Webstoff, der wie ein Verflechten von Zufällen erscheint, in der Tat sich als ein Leinen erweisen wird, bei welchem der Herr der Hauptwirkende ist. Ich wollte dorthin gehen, aber ich verpasste das Flugzeug, ich wollte hier die Ausbildung beginnen, musste aber aus bestimmten Gründen zu einer anderen Lehreinrichtung gehen. Ich wollte dieses Mädchen heiraten, aber sie verliebte sich in meinen Kumpel, so dass ich fünf Jahre später eine ganz andere ehelichte. Ich wollte wegen höherer Verdienstmöglichkeiten eine bestimmte schwere Arbeit verrichten, aber meine Gesundheit machte mir da einen Strich durch die Rechnung und so widme ich mich jetzt z.B. der Mathematik.
Diese ganzen Winkelzüge verschiedener Ereignisse sollen dem Menschen zeigen, dass über ihm jemand wacht, der ihn auch züchtigt. Das Leben eines jeden Menschen ist wie ein geschriebenes Buch, ein Buch der Ratschlüsse Gottes. Einfach wegen unserer Unachtsamkeit im Leben bemerken wir nicht den ständigen und aufmerksamen Blick dessen, der uns liebt.
Dasselbe betrifft auch die Geschichte. Von allen Wissenschaften, die der Theologie nahestehen, ragt die Philologie heraus. Einer der westlichen Theologen sagte einmal: „Die Philologie bedingt die Theologie.“ Es ist wahr. Beschäftige dich mit Hebräisch und du fängst an, die Thora zu schätzen. Beschäftige dich mit Griechisch und du fängst an, das Evangelium zu lieben. Beschäftige dich mit Latein und du fängst an, Cicero zu achten. Beschäftige dich mit manchem anderen und du fängst an, große Autoren zu lesen. Wenn du aber große Autoren liest, wirst du selbst groß werden (bei deren richtiger Adaption – Anm.), weil die Großartigkeit des Gelesenen die Großartigkeit der Absichten mitbedingt und diese guten Absichten den Menschen dann geistig nach oben ziehen.
Neben der Philologie ist der Theologie auch die Geschichte verwandt. Geschichte ist ein Buch der Vorsehung Gottes bezüglich verschiedener Völker und Stämme. Die eigene Lebensgeschichte, wo ich geboren und erzogen wurde, wo ich gelebt und den Militärdienst absolviert hatte, wo ich mich in Ausbildung befand und jetzt lebe – wenn man das alles auf der Landkarte abzeichnet, ergibt sich ein seltsamer Bogen über viele Städte und Gebiete.
So treibt es uns gewissermaßen im und durch das Leben. Was ist das? Es ist ein geheimnisvolles Motiv, ein Gemälde der Vorsehung Gottes bezüglich des Menschen.
Dabei sind wir nur ein Element des gesamten großen Gemäldes. Tritt man z.B. an eine Mosaik heran, erkennt man nur einige einzelne Steinchen und kann sie nicht in eine gewisse Einheit zusammenfassen. Geht man einige Meter zurück, erblickt man, dass dies z.B. ein Bein eines Menschen ist. Geht man weiter zurück, versteht man, dass das der Fuß eines bestimmten Menschen ist. Geht man noch weiter weg vom Mosaikbild, sieht man, dass es die Darstellung irgendeiner bestimmten Schlacht ist. So muss man sich in eine beträchtliche Entfernung vom Bild begeben, um die Schönheit seiner einzelnen Fäden zu verstehen.
Das ist Vorsehung. Gesicht zu Gesicht ist das andere Gesicht nicht zu erblicken. So verstehen die Menschen erst im Alter richtig, wie sie sich unter dem Schutz des Wirkens Gottes befanden. Das Leben nahm sie unter ihre Flügel, beschützte und rettete sie.
Das menschliche Leben ist wie ein einzelner Faden eines wertvollen Brokatstoffes und wie ein einzelnes Stückchen Glas im großen Mosaikbild. Tritt etwas zurück und du erkennst, dass man hineingewebt, hineingestellt und hineinmontiert worden ist in ein großes Bild. Das ist Vorsehung. Man versteht die eigene Rolle nicht so gut, warum man gerade jetzt und hier ist. Warum wurde ich im 20. oder 21. Jahrhundert geboren und nicht im 19. Jahrhundert? Dann hätte ich mich ja z.B. zusammen mit Mendeleew (der russische Erfinder des Periodensystems) mit Physik oder zusammen mit Blok (Dichter der russischen Moderne) mit Poesie beschäftigt.
Und warum wurde ich nicht im 17. oder 18. Jahrhundert geboren? Da hätte ich vielleicht als Musketier mit D‘Artagnan Abenteuer erlebt. Wäre ich zu Zeiten von Columbus geboren worden, wäre ich mit ihm vielleicht von Spanien nach Amerika übers Meer gefahren, um die Eingeborenen dort zum Glauben zu bekehren. Warum bin ich also hier und nicht dort? Weil du ein kleines Glied in einem riesigen Bild bist. Das ist der Ratschluss Gottes. Du bist ein von der Farbe, Lichtbrechung und Qualität her benötigtes Gläschen, welches in ein großes Bild hineingestellt worden ist.
Das versteht man in der Regel gegen Ende des eigenen Lebens besser. Verstehen wir aber auch früher, dass wir nicht vergessen, verlassen oder einem Chaos überantwortet werden, sondern von Gott geliebt und gebraucht werden und für Ihn dort von Interesse sind, wo wir sind und uns jetzt gerade befinden. Das ist auch Vorsehung Gottes.
Und beschäftigen wir uns mit der Geschichte der Kirche, der Welt und der verschiedenen Länder, da sie, die Geschichte, nach Aussage eines Heiligen eine Wissenschaft ist, die den Ratschluss Gottes bezüglich ganzer Völker erklärt.
Seien wir also achtsam auf den Atem dieser Vorsehung. Du willst vielleicht, dass deine Tochter einen Millionär heiratet, sie aber ehelicht einen Schlosser. Du willst, dass dein Sohn Schauspieler wird, er ist aber Pilot der zivilen Luftfahrt geworden. Das heißt du willst das eine, es wird aber etwas anderes. Begehre nicht dagegen auf! Das ist Ratschluss Gottes. Es geschehe nicht dein Wille in der Welt, sondern der Wille Gottes. „Dein Wille geschehe“ (beten wir ja täglich – Anm.) – das ist ebenfalls die Vorsehung Gottes.
Bemühen wir uns also, den Ratschluss Gottes in der Geschichte des eigenen Volkes, in der Kirchengeschichte und in der eigenen Lebensgeschichte beim Blick nach hinten zu verstehen. So auch beim Betrachten der Geschichte der eigenen Kinder und Verwandten, auf ihre (jeweilige) Lebensstory hinhorchend.
Und versuchen wir, das gesamte providenzielle Wirken des Herrgottes in der Welt nicht zu stören, bzw. stellen wir uns nicht dagegen. (Denn ein Mensch, der Gott aufrichtig sucht und Ihm zu dienen gewillt ist, kann darauf vertrauen, dass auch die gesamten Widerwärtigkeiten von Gott seinem Besten zugedacht sind. – Anm.) Da wir ja, ich wiederhole es, ein kleines Steinchen in einem großen Mosaikbild sind, dessen Schönheit man nur erblicken kann, wenn man sich davor auf eine erforderliche Distanz begibt.

Ein Priester der Ostkirche


 

 

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